Suared


"SUARED - eine Landkarte, zwei Installationen, drei und mehr Bilder"


Einführungsvortrag von Reinhard Fritz am 5. November 2016 in der Galerie Gebhard, Landsberg am Lech.

Der Künstler SUARED entwickelt im Stil "Individueller Mythologien" eine raumgreifende, umfassende Installation, in der lebendige Bezüge zu DADA, Marcel Duchamps und Kurt Schwitters bis hin zur Malerei von Gotthard Graubner gespannt werden. Dabei führen die Stationen seines Lebens ihm immer wieder Material zu, das er in eine neue Ordnung transponiert. Die atemberaubende Vielzahl von Gegenständen, die in einen sinnstiftenden Zusammenhang gebracht werden, ermöglichen der Phantasie ausschweifende Reisen, in der sich die Besucher der Ausstellung verlieren und wiederfinden können, ähnlich einer "innerspace novel".


Der vollständige Vortragstext ist ganz unten.





Einführungsvortrag in die Ausstellung von Reinhard Fritz

Sehr geehrte Damen und Herren,

so haben Sie die Galerieräume sicher noch nicht gesehen. Es ist ein neuer Künstler eingezogen, den viele von Ihnen als Klaus Dander gut kennen, vielleicht glaubten Sie auch nur ihn gut zu kennen, denn dieser Raum von Klaus Dander reflektiert die existenziellen Fragen, die sein Leben an weit entfernten Orten dieser Welt aufwarfen, und er sucht dabei ganz bewusst die Berührungspunkte zur Kunst. In seiner Dichte erinnert dieser Raum an eine Kultstätte. Zu seinem Schaffen dachte er sich auch einen Künstlernamen aus, die jeweils letzten 3 Buchstaben des Vor- und Familiennamens ergeben rückwärts gelesen den Künstlernamen SUARED.

Der Künstler SUARED entwickelt nun im Stil "Individueller Mythologien" hier eine raumgreifende, vielteilige Installationen, in der lebendige Bezüge zu DADA, Marcel Duchamps und Kurt Schwitters bis hin zur Malerei von Gotthard Graupner gespannt werden.

Ich darf erinnern, dass der Begriff "Individuelle Mythologie" von Harald Szeemann 1972 im Zusammenhang mit der documenta 5 geprägt wurde, um solche Künstler zu kennzeichnen, die ihre künstlerischen Kräfte aus einem Rückzug ins Private und Subjektive unter gleichzeitiger Bezugnahme auf Mythologisches und Magisches entwickelten. Nach Harald Szeemann führt der dem Künstler damit gewährte Freiraum (Zitat) "zu einer wohltuenden Relativierung des Kunstbegriffs, weil er den Begriff des Spinners und Spinnertums wieder einführt. Die Zeichen, Signale und Symbole, die diese Spinner und Denker setzen," sagte er, "und die Intensität mit der sie sie erfüllen, ergeben für uns die Dichte der von ihnen gemeinten Welt. Und ohne Obsession," betont Harald Szeemann, "gibt es keine Individuelle Mythologie."

Und das Obsessive an dieser Ausstellung erkennt jeder Besucher sofort.

Dabei führten die Stationen seines Berufslebens als Ingenieur in Afghanistan, Norwegen und Spanien, ihm immer wieder Material zu. Die atemberaubende Vielzahl von Gegenständen, die in einen neuen, sinnstiftenden Zusammenhang gebracht werden, übrigens ist jeder Aufbau immer wieder anders, ermöglichen der Phantasie ausschweifende Reisen, in der sich die Besucher der Ausstellung verlieren und wiederfinden können, ähnlich einer "innerspace novel".

Beginnen wir auf dieses Stichwort mit dem eher abstrakten Teil seines Werkes, den handgeschriebenen Texten, die diese Wände bedecken und die aus den Jahren 2011 bis 2014 stammen. Wie kann es zu solch manischer Tätigkeit kommen?

Klaus Dander alias SUARED wollte, um in einem Antiquitätengeschäft in München eine Lampe zu erwerben, schnell aus dem nahen Bankomat Geld holen, als es passierte. In dem Augenblick, als er die Bankfiliale verließ, wusste er plötzlich nicht mehr, wo er war und was er vor hatte. Er irrte sehr lange in einer ihm plötzlich fremden Stadt ziellos herum. Eine typische Situation aus "inner space novels", also Romanen, die sich mit der Trennung und Abkapselung des Innenlebens eines Menschen beschäftigen. SUARED kam irgendwann wieder zum normalen Bewusstsein zurück, hatte aber Angst, dass dieser Zustand wiederkommen könnte. Um das zu verhindern, dachte er sich Verhaltensweisen aus, die ihm aus dem Dadaismus bekannt sind, und auf die er sich ausdrücklich bezieht. Dadaismus steht ja für den totalen Zweifel an allem, für einen absoluten Individualismus und die Zerstörung von gefestigten Idealen und Normen und verwendet in seinen künstlerischen Äußerungen einfache, willkürliche, meist zufallsgesteuerte Aktionen in Bild und Wort.

Er begann also unsinnige Texte, kurze Sätze auf Papier zu bringen, immer den Satz wiederholend eine vorher bezeichnete Fläche auszufüllen, dann den Satz ins Italienische übersetzen, das Papier um 90° drehen und wieder Zeile um Zeile schreibend das Feld auszufüllen. Es entstehen netzartige, grafische Strukturen. Jede Woche dachte er sich einen neuen Satz aus, übersetzte ihn ins italienische und beschrieb so eine Fläche mit Bleistift, jede Woche eine andere Bleistiftstärke und damit ein anderer Grauton. So kamen von 2011 bis 2014 pro Jahr immer etwa 52 neue Schriftfelder dazu, handgeschrieben mit Bleistift auf den Endlospapieren computergesteuerter Drucker, Sie sehen die Perforationsstreifen für den Transport im Drucker, insgesamt also über 200 Schriftfelder.

Es scheint gewirkt zu haben, jener angstmachende Zustand ist nicht mehr eingetreten. 2014 beendete SUARED diese Schreibtätigkeit und gab diesem Werk den Titel: "DaDaDa DeDeDe MeMeMenz", ein Titel der Bezug nimmt auf dadaistische Kunsttechniken und gleichzeitig die Angst vor der Erkrankung benennt und bannt.

Kommen wir jetzt zu der großflächigen, raumfüllenden Installation. Sie ist als Prozess jahrelanger Sammeltätigkeit zu verstehen und gliedert sich drei Teile: Die Idee - Der Speicherplatz - Das Werk.

"Die Idee" ist rund, sie ist ein Kreis, eine Kreisfläche. Sie beinhaltet eine Drehbewegung um einen Mittelpunkt ohne Anfang und Ende. Dabei entstehen Überschneidungen, die sichelförmige Elemente provozieren. Es gibt Glasgefäße, Flaschen, Kugeln, Plastikblumen und einen halb vermoderten Pfahl, der in einer Kuchenform auf einem Lampenschirm steckt. Alles wurde auf Flohmärkten entdeckt, erworben und gesammelt. Das Sammeln ist also die Voraussetzung für das spätere Arrangement, das immer auch anders zusammengesetzt werden kann, es geht ja um die Idee, und die ist nicht statisch, sondern ständig in Bewegung.

Das Sammeln ist ja ein Prozess, und bedeutet dass man Zeit haben muss, dann braucht man auch Platz, Speicherplatz, so auch der Titel der zweiten Installation: "Der Speicherplatz". Der Speicher ist 4-eckig, rechteckig, wie die Welt in der wir leben, unsere Wohnungen und Häuser, die rechteckige Fenster haben. Schauen wir raus, sehen wir die Welt im rechteckigen Rahmen. Der Speicher ist nicht rund, es sind Schachteln, Kästen, Archivboxen, diese beinhalten Fundgegenstände, Flaschen, Knochen, Hobelspäne, Pflanzenteile, Barbiepuppen, dazu gesellt sich das schwerste Objekt, eine Kabelsäule, Elektrokabel-Reststücke, gebündelt und verpackt aus Norwegen, jahrelang sein Arbeitsort. Rundbriefe oder Umlaufkuverts sind Speicher auf Zeit. Photographic Papers sind auch Speicher, sie speichern das Licht dauerhaft. Schließlich entdeckt der Besucher einen verbrannten und verkohlten Koran, der aus der Zeit stammt, als Klaus Dander alias SUARED in Afghanistan für Siemens Telefonanlagen baute. Das alles wird in dieser Ausstellung geordnet, wie ein Unternehmen, als Matrix in Form von Tabellen, als Reihung wie im Museum. Dabei ist das hier alles nur eine Auswahl aus einer noch viel größeren Fülle, von sehr viel mehr Gegenständen in seinem Haus.

Weiter geht es mit dem "Das Werk". Seit 2013 sammelt er Karten von Künstlern, Einladungskarten zu Ausstellungen oder Kunstpostkarten, insgesamt 550 Karten. Jede Karte ist auf ein Brett gebunden. SUARED versteht nach eigener Aussage die Arbeit der Künstler als Geschenk an die Allgemeinheit. In der Galerie-Ecke in einem Viertelkreis so abgelegt, dass der Eindruck entsteht, der Kreis würde sich durch ein Fortfahren des Sammelns schließen.

Um sich immer wieder zu vergewissern, wo er in der Welt steht, gestaltet SUARED eine "Landkarte", kollagiert Zeitungen, Prospekte, Billetts aus dem Norden, also Norwegen, und dem Süden, das ist Spanien. In diesen beiden Ländern arbeitete er als Projektkontrolleur im Anlagenbau für Gasreinigungen. Unten an der Karte steht etwas, dass das Motto für sein künstlerisches Tun stehen könnte:

"geburt und tod – vergangenheit und zukunft – kommen und gehen – wo bleibt das leben – das heute und das hier – wo bleibt das bleiben und das verweilen"

In memoriam Kurt Schwitters, dem DADA Künstler in Hannover, der von den Berliner Dadaisten nicht aufgenommen wurde und deshalb auf die Bezeichnung DADA verzichtete und seine Kunst mit dem Begriff MERZ bezeichnete, übrigens die 4 mittleren Buchstaben aus dem Wort Commerzbank. In Memoriam Kurt Schwitters gelingen SUARED Wort- und Bildspiele wie Kuwitter, der König vom Landgut Strandgut.

Und dann kommt es zwangsläufig zu der Situation, das die Lager voll sind und kein Speicherplatz mehr da ist. Eine Wiederbesinnung auf das Bild, die Malerei entsteht. Flächig strukturiert, mit lasierenden Farben, gelegentlich mit dem eigenen Blut, das dem Künstler manchmal ungewollt aus der Nase tropft und das bräunlich auf trocknet. Die Bilder bringen eine Analogie zu Gotthard Graupners Farbkissen. In ihrer Polychromie, der Vielfarbigkeit sammeln sie und speichern zahlreiche Gefühlsaspekte. Bilder sind zunächst ja auch Dinge, physische Gegenstände mit erkennbaren Strukturen, die uns Informationen zur Deutung bieten. Dabei fällt auf, dass diese Dinge flach sind, dass sie sich, zugespitzt gesagt, verschlankter Mittel bedienen und dadurch wenig Speicherplatz benötigen. In diesem Aspekt ähneln sie einer datenkomprimierten ZIP-Datei, die der Betrachter mit eigenen, geistigen Programmen, also seinen Sinnen und Fähigkeiten, öffnen kann.

Unsere Intuition veranlasst uns dazu, gelegentlich darüber nachzudenken, dass es außer dem alltäglichen Dahinfließen noch etwas anderes in uns gibt, das uns bewegt. Dieses Andere, das die Kunst abbildet hat eine merkwürdige aber sehr interessante Eigenschaft. Je mehr man versucht, es zu erkunden, umso komplexer und geheimnisvoller erscheint es uns. Immer jedoch geht es dabei um Betrachtung, also jenem Vorgang bei dem der Betrachter sich intuitiv mit dem Dargestellten identifiziert. Aus dieser sinnlichen Empfindung, und deren intellektuellen Übersetzung, entsteht je nach individueller Erfahrung, die Wahrnehmung.

Vieles was SUARED in seiner Berufsrealität als Ingenieur vermisste, hat er vielleicht versucht mit einer Künstleridentität auszugleichen. Aber auch ein anderer Gedanke ist interessant. Bei den vielen längeren Aufenthaltsorten in fernen Ländern mag er durch das Sammeln für sich so etwas wie Heimat geschaffen haben, sagte mir meine Frau Monica neulich. Und hier passt auch ein Zitat von Ingeborg Bachmann, das sich mit der Welt der Dinge beschäftigt: "Die Dinge brauchen uns Heimatlose, um irgendwo zu Hause zu sein".

Ich bin gespannt, wie Sie das sehen. Und wenn Sie wollen, sprechen Sie den Künstler SUARED an, er kann Ihnen zu jedem Stück der Sammlung eine Geschichte erzählen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


Weitere Informationen zu Suared:

https://suared.wordpress.com/